Mirror Mirror Band 2 (Buchprojekt im Entstehen)

 

MIRROR MIRROR  BAND 2

 

 

 

 

 

 

 

 

ZEIT.LOS

 

 

 

 

 

oder

 

 

 DER MAGISCHE AUGENBLICK

 

 

 

 

 

 

Natascha Dimitrov

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Sichtbare Dinge können unsichtbar sein. Wenn jemand ein Pferd durch den Wald reitet, dann sieht man sie zuerst, dann wieder nicht, aber man weiß, dass sie da sind.

                                    

          René Francois Ghislain Magritte (1898-1967)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

INHALT (Leseprobe)

INTRO

 

 

 

1. Valérie – Montpellier / Wien

 

2. Kirsten – Hamburg / Paris

 

3. Cornelis - Paris

 

4. Annabelle - Berlin

 

 

INTRO

 

MUSIK:  Shankar Tucker ft. Vidya & Vandana Iyer – Munbe Va (A.R. Rahman Cover)

 

„Wenn zwei Menschen sich länger als drei Sekunden in die Augen blicken, bedeutet das Liebe oder Hass. In welchem Ausmaß auch immer. Irgendwie und irgendwann.“, sinnierte R., ein Philosophie-Student mit lila Plastik-Spange im kinnlangen Haar. Das war in London, vor vielen Jahren. Und da mich diese Theorie faszinierte, habe ich mich selbst, wie auch andere Menschen beobachtet - es funktioniert! Irgendwann kommt die magische Sekunde, die entscheidet, in welche Richtung es weitergehen kann. Augen spiegeln mehr, als uns manchmal lieb ist – nicht nur die Seele, wie schon Leonardo da Vinci wusste, sondern in gewisser Weise auch die Zukunft. Ergo existiert auch ein Grund-Gefühl anderen Menschen gegenüber tatsächlich schon auf den ersten Blick, in welche Richtung auch immer. Bleibt nur noch die Frage, wie intensiv es von Anfang an ist, und ob und inwieweit man sich darauf einlassen will. Dieses Phänomen hat sich in mein Bewusstsein gefräst. Und begleitet mich seither auf Schritt und Tritt. Ob man nun diese beiden Emotionen, die eng nebeneinander liegen und eine große Bandbreite bieten, offen auslebt oder nicht - allein das Wissen darüber ist überwältigend. Dabei spielt es keine Rolle, wer das Gegenüber ist oder woher es stammt.

Manche Menschen muss man mögen. Soll heißen, es geht gar nicht anders. Irgendwie kann man sich gut „riechen“, die seelische, geistige und physische „Chemie“ stimmt und -  idealerweise kann man miteinander lachen, bis der Bauch weh tut.  Und wenn es auch nur die vordere Zahnlücke ist, die beeindruckt: man reflektiert einander in gewisser Art und Weise und ergänzt sich. Sonst würde man ja nicht aufeinander ansprechen. Manche dieser Spiegel-Menschen begleiten uns nur über einen begrenzten Zeitraum hinweg. Manche sporadisch. Und andere bleiben für immer. Das sind meist jene, die unser Herz berührt haben. Sie mutieren zu sogenannten Lebensmenschen, also jene, denen man auf Lebenszeit und darüber hinaus besonders verbunden ist. Man könnte sie auch als Seelenzwillige bezeichnen. Ob sie nun physisch präsent sind oder am Ende der Welt leben ist dabei zweitrangig (auf das kollektive Bewusstsein wage ich gar nicht erst einzugehen). Auch, wenn man über Jahre hinweg nichts voneinander gehört haben sollte: wenn man sich wieder sieht, ist es, als wäre man niemals getrennt gewesen. Klingt paradiesisch. Ist es auch. Insofern gleicht das ganze Leben manchmal tatsächlich einem Traum. Jipiehhh!

 

MUSIK: Valérie Sajdik – Jour et Nuit

 

Höchste Zeit, dieses Phänomen zu feiern. Mit Menschen, die, wie erwähnt, mehr oder minder ein Spiegelbild des Selbst darstellen (vielleicht auch ein Spiegelbild IHRES Selbst?), samt ihren Geschichten, die das Leben schrieb.

In diesem Sinne präsentiert vorliegendes Buch 60 Menschen in Form von

60  Augenblicken, die sie geprägt haben, und zeigt auf, was diese Momente in weiterer Folge ausgelöst haben. Plus: was sie bewegt, wovon sie träumen, sowie die Musik, die ihr ganz persönliches Lebensgefühl des Augenblicks ausdrückt.

 

Kopfhörer auf und viel Vergnügen!

 

Wien, im Weihnachtstaumel  2014                                                                                               N. D.

 

 

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1. Valérie

 

„Mein Wunsch formte sich, als ich mit meiner Mutter durch ein verlorenes Bergdorf in der Provence spazierte.“

 

MUSIK: Valérie Sajdik – Larzac

 

Valérie verkörpert die Leichtigkeit des Seins. Was aber nicht nur ihrer glockenhellen Stimme zu verdanken ist. Allein die Präsenz der charmanten Chanteuse versprüht eine schier unglaubliche Unbeschwertheit und Frische, die aus Problemen Chancen werden lässt, und das Leben per se in ein einziges Wunschkonzert zu verwandeln scheint. Auf wundersame Weise befindet man sich urplötzlich auf einem geistigen Höhenflug, ohne zu wissen, wie einem geschieht. Die Musikerin aus Wien und Montpellier, die bereits mit vierzehn Jahren einen Plattenvertrag hatte, vermag es, ihrem Vis-à-Vis auf uneigennützige Art das Gefühl zu vermitteln, etwas ganz Besonderes zu sein. Was wahrscheinlich an der ungebrochenen Aufmerksamkeit liegt, die sie ihrem Gegenüber zuteil werden lässt. Dabei macht sie keinen Unterschied zwischen jung oder erfahren, gebildet oder ungebildet, bedürftig oder wohlhabend. Und da sie auch sonst über einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn verfügt, ist sie in jungen Jahren klug genug, parallel zum Jazzgesang Studium am Konservatorium Wien, Rechtswissenschaften zu studieren. So etwas kann man schließlich immer brauchen.

Als das Ende des Studiums naht, beschließt die Kosmopolitin, für einige Zeit nach Paris zu ziehen, um dort ihre Diplomarbeit im Rahmen von Erasmus zu schreiben. Gesagt, getan. Schon nach wenigen Tagen und dank eines neu gewonnenen, lebenslustigen Freundeskreises hat sie das Gefühl, bereits seit einer Ewigkeit in dieser Stadt zu leben. Eine Party folgt der nächsten. In dieser aufregenden Zeit lernt sie auch einen französischen Musiker kennen. Und da Valérie die Musik im Sinne stets begleitet, beginnen die beiden, Songs zu schreiben und aufzunehmen. Die Uni sieht die Künstlerin in dieser Zeit eher von außen. Auf einmal entsteht die Idee, in einem französischen Dorf ein provisorisches Studio zu bauen, um das gemeinsame Album fertig zu produzieren. Wie auch immer Valérie es geschafft haben mag – ihr Jurastudium beendet sie tatsächlich vorher noch mit Bravour. Chapeau!

Spontan fahren die beiden also mit dem Motorrad quer durch Frankreich, über Stock und Stein, bis nach Montpellier. Mit im Gepäck: ein tief im Unterbewusstsein verankerter, uralter Traum Valéries, einmal im Leben ein kleines Haus aus Stein in Südfrankreich zu bewohnen (dessen sie sich aber erst viel später entsinnt). Die magische Sekunde, in der sich dieser Wunsch formte, soll ihr späteres Leben nachhaltig beeinflussen: als sie etwa fünfzehn Jahre alt ist, spaziert sie mit ihrer Mutter durch ein verlorenes Bergdorf in der Provence. In dem Moment, da Valérie eben so ein Steinhaus erblickt, beginnt sie zu träumen, fragt sich, „wer darin wohl wohnen mag. Und vor allem, wie es sich lebt, so ganz ohne Terminkalender, zwischen all den duftenden Lavendelblüten und Weinreben...“

In Montpellier angekommen, beginnen die Musikschaffenden, eine Wohnung zu suchen. An ihren alten Traum denkt Valérie dabei aber immer noch nicht. In Frankreich eine Wohnung zu finden ist aber nicht so leicht - vor allem für einen Musiker ohne festes

 

 

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Einkommen. Sie klappern also eine Immobilienagentur nach der anderen ab und kontaktieren Vermieter über Vermieter. Fehlanzeige.  In der letzten Agentur bekommt Valérie schließlich gegen eine Kaution Kontakte. Wieder kein Erfolg. Jetzt wird es aber langsam wirklich mühselig! Valérie vermutet schon einen Betrug, als sie schlussendlich mit der letzten Telefonnummer Glück hat. Na endlich! Eigentlich wollen sie und der zweite Musiker die Rückreise nach Paris antreten, und zwar mit dem Zug. Und darüber hinaus hatte sich die Chanteuse bereits innerlich damit abgefunden, dass es wohl erst mal nichts mit einem Studio im Südfrankreich werden würde. Aber – es soll anders kommen. Sie gehen einen letzten Kaffee trinken. Als Valérie und der französische Musiker anschließend noch einmal Mal in ihr Quartier zurückkehren, finden sie die Antwort einer eher schüchtern wirkenden Dame auf dem Anrufbeantworter. Sie erzählt von einem Haus, unweit von Montpellier. Nur noch drei Stunden, bis der Zug abfährt! Sie hatte gerade in der richtigen Sekunde angerufen. Kurzerhand holen die beiden die Dame mit dem uralten Automobil eines Freundes am Stadtrand von Montpellier ab und fahren mit ihr in Richtung Haus. Der Traum rückt immer näher. Etwa eine dreiviertel Stunde später befinden sie sich in mitten einer Landschaft, die für Valérie etwas absolut Neues darstellt: Weinreben, inmitten von roter Erde und kleinen Vulkanen, ein kleiner Canyon. Nach und nach wird die Straße immer schmäler und die Einöde immer größer. Jetzt wirkt die Landschaft plötzlich wie in sattes Grün getaucht. Und da soll noch ein Dorf kommen?! Valérie fühlt sich dem Ende der Welt nahe - als plötzlich in der Ferne tatsächlich noch ein Dorf samt Kirchturm auftaucht. Das Haus - ein riesiges Steinhaus – steht mitten am Dorfplatz. Ein sogenannter „Bastlertraum“, aber durchaus bewohnbar. Auf den ersten Blick nicht gerade idyllisch, trotz des großen Kamins in der Küche.

Als Valérie aber den riesengroßen Raum, teilweise mit Holzboden, direkt neben der Küche, betritt, weiß sie: das ist ihr Studio! In dieser Sekunde beschließt sie, dass sie dieses Haus mieten werden.

Wäre sie zu einem anderen Entschluss gekommen, so wäre sie jetzt, zwölf Jahre später nicht noch immer hier, und hätte wohl kaum den Vater ihrer beiden Kinder kennengelernt, geschweige denn drei Alben aufgenommen, sowie ein musikalisches Projekt mit dem selben Namen des Dorfes gehabt. Der Dominoeffekt nahm seinen Lauf... 

 

 

 

2. Kirsten

 

„Mein Herz klopfte bis zum Hals, als ich die Antwort von Christian Lacroix hörte.“

 

MUSIK: Angus & Julia Stone – A Heartbreak

 

Nordic by nature. Die schöngeistige, hochempfindsame Textildesignerin aus Hamburg führt ein Leben, das sich Millionen modeaffiner junger Frauen wünschen: sie kreiert prachtvolle Stoffe, aus denen die Haute-Couture–Träume sind. Und zwar in ihrer charmanten Atelier-Wohnung mitten in Paris, der Stadt ihrer Träume. Der Weg dorthin war steinig und hart - sie aber hielt unerschütterlich an ihrer Vision fest, bis sich tatsächlich der Erfolg einstellte.

 

 

 

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Kirstens Mutter ist seinerzeit in einer Handarbeits-Boutique tätig, und da sie selbst eine äußerst kreative Ader hat, fördert sie diese auch spielerisch bei ihren beiden feinsinnigen Töchtern: und so malen, basteln und häkeln Kirsten und ihre Schwester

bereits in frühester Kindheit. Zwölf Monate im Jahr. Nahezu in jeder freien Minute. Kirsten, der Knirps, verpasst seinen Puppenhäusern, samt Barbies und Monchichis (ja genau, die kleinen Plüsch-Äffchen mit den herzigen Segelohren) sogar ganze Komplett-Looks: vom selbst gewebten Zwergen-Teppich über gehäkelte Miniatur-Mützen bis hin zu Makramé-Tieren im typischen 70er Jahre Stil ist ziemlich alles vertreten.

Nach dem Abitur und einer ersten Reise nach Paris, auf der sie sich Hals über Kopf in das Zentrum der Modewelt verliebt, absolviert die leidenschaftlich Kreative eine Modeschule in Hamburg. Die Inspiration zu ihrer auf gegensätzliche Textilien spezialisierten Abschlussarbeit ist von Wim Wenders Film „Bis ans Ende der Welt“ inspiriert: ein textiler Stilbruch, der sich bewährt hat, denn die Themen Urstoff und Futurismus finden sich bis zum heutigen Tage in ihren Kreationen wieder.

Hoch motiviert bemüht sich die frischgebackene Designerin um einen Praktikantenplatz der d.e.r. deutschen Designerin der 90er Jahre, der „Queen of less“: Jil Sander. Aber nein – da sie keine Berufserfahrung vorzuweisen hat, wird das textile Wundertalent, das eines Tages die Pariser Modewelt auf den Kopf stellen soll, beinhart abgelehnt.

Aber die Unerschütterliche lässt sich nicht beirren und tröstet sich mit einer zweiten Reise nach Paris, diesmal mit dem Ziel, die exklusiven Modeschauen etwa von Karl Lagerfeld, Chloé, Jean Paul Gaultier oder ihrem damaligen Lieblings-Designer Romeo Gigli  zu besuchen. Als „Normalsterblicher“ durchaus kein leichtes Unterfangen. Wie sie und ihre Freundinnen sich dennoch Einlass vor und hinter die Mode-Bühne verschaffen? Auf die feine Art: das schlaue Trio fragt einfach bei Moderedakteurinnen nach übrig gebliebenen Einladungen (die Autogramme von Karl Lagerfeld & Co. hütet Kirsten noch heute wie ihren Augapfel!). Ja, ja, viele Wege führten damals in den Louvre – dort fanden die Schauen nämlich vorwiegend statt. Hier in Paris fühlt Kirsten tatsächlich: this is the place to be. Zumindest für sie. Und dies ist auch der Moment, in dem sie beschließt, wieder zu kommen. Und zwar für immer. Obwohl sie keine Menschenseele kennt, und auch ihre Aussprache des gelernten Schul-Französisch ihrer Meinung nach anfänglich absolut zu Wünschen übrig lässt. Aus Gedanken werden also Taten.

Erste Praktika bei französischen „Jeune Créateurs“ - quasi Mini-Firmen - sowie bei einem Designer in Irland, folgen, bei dem sie letztendlich die Chance bekommt, tatsächlich Stoffe zu kreieren. Alles schön und gut, aber Paris bleibt das Ziel ihrer Träume. Von da an ist der Weg hart wie ThyssenKrupp-Stahl:

die erste aufstrebende Jung-Designerin, die Kirsten eine Stoffkreation abnehmen möchte, sagt aufgrund eines  finanziellen Engpasses in letzter Minute ab. Eine weitere, norwegische Designerin vergütet sie an manchen Tagen gar mit Suppe und Brot. Das darf doch nicht wahr sein! Dann ist da noch der italienische Jung-Designer, welcher derart sparsam ist, dass es sukzessive immer weniger Modelle werden und er zum Schluss nur noch Kirstens Technik kopiert. Grrrrhhh!

So viele berufliche Tiefschläge auf einmal können einen ganz schön demotivieren! Aber – auch diesmal bleibt Kirsten stark. Tapfer versucht sie es erneut bei den großen Modehäusern, rafft all ihren Mut zusammen und ruft bei Christian Lacroix an, um ihre Mappe zu präsentieren. Und siehe da, ihre Hartnäckigkeit wird belohnt, denn diesmal fällt die Antwort – liegt es am schönen Wetter? – positiv aus! D.i.e.s. ist die schicksalshafte Sekunde, die Kirstens Leben verändert, denn ab jetzt geht es steil bergauf. Vielleicht erfüllen sich manche Wünsche auch erst dann, wenn die Zeit dafür

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reif ist. In Kirstens Fall bedeutet das: endlich trifft sie auf ihren Mentor! Finalement. Wurde auch langsam Zeit! Lacroix ist derart begeistert, dass er ihr auf der Stelle drei Stoff-Kreationen abnimmt, aus denen Kirsten gleich mehrere (!) Modelle und

Accessoires fertigt. Und damit nicht genug – seit diesem Anruf kreiert sie quasi für jede seiner Kollektionen Modelle, bis zur Schließung des Hauses im Jahre 2009. Und, wie so oft im Leben gilt auch in diesem Mode-Märchen: öffnet sich die erste Tür, so öffnet sich auch die nächste. Soll heißen, weitere große Häuser wie etwa John Galliano, Christian Dior, Chanel, Paco Rabanne, Nina Ricci und Louis Vuitton sind auf einmal ganz vernarrt in Kirsten und ihre textilen Kreationen. Endlich kann sie von ihrem Traum, aus ihrer kreativen Leidenschaft einen Beruf zu machen, auch leben! Happy End und Halleluja. Ihr beruflicher Erfolg hält sich nun mittlerweile schon seit siebzehn Jahren. Auch wenn Kirsten phasenweise vor den Modeschauen beinahe rund um die Uhr durcharbeitet – dieser Mensch liebt seine Tätigkeit mit all seiner Seele! Das spürt man. Was wohl auch das Geheimnis dieses Erfolges ist. Mit ihrer siebenjährigen Tochter Lia bastelt Kirsten, wie einst ihre Mutter mit ihr. Und besucht inspirierende Kunst-Ausstellungen; sie hat ihr sogar feierlich eine erste kleine Nähmaschine geschenkt. Aber: inwieweit Lia ihre Kreativität ausleben möchte, bleibt ihr selbst überlassen.

 

 

 

 

3. Cornelis

 

„Es war ein überschäumendes Gefühl...“

 

MUSIK: The Magnetic Fields – 69 Love Songs (Album)

 

Wenn Heimat dort ist, wo Freunde sind, dann ist Cornelis auf der ganzen Welt zu Hause. Sein Beruf ist seine Berufung - als Fotograf reist er quasi das ganze Jahr über rund um den Globus. Dabei pendelt er zwischen den Metropolen, bis hin zum entlegensten Dorf. Seine Basis? Paris. Die Augenblicke, die sein Leben veränderten? Momente starker Emotionen.

 

Wie etwa die glückliche Sekunde, als Linda und er auf einem Parkplatz in Santa Barbara die Telefonnummern austauschen. Tief in seinem Herzen spürt er, dass dieser Moment, den ein überwältigendes Gefühl von Liebe kennzeichnet, eine Wende für ihn darstellt - nicht wissend, dass seine zukünftige Ehefrau vor ihm steht.

 

Aber da das Leben nicht nur aus Höhenflügen besteht, erlebt Cornelis, wie alle anderen Menschen auch, Sekunden extremen Schmerzes. Eines Tages erhält er einen Anruf aus Finnland. In der Annahme, es sei seine Freundin Anne Laure, die vom Pariser Flughafen aus anruft, geht er ans Telefon. Stattdessen ist es ihre beste Freundin, die ihm fassungslos mitteilt, dass diese in Helsinki den Freitod gewählt hat. In der Sekunde, in der er von Anne Laures Tod erfährt, empfindet Cornelis einen starken körperlichen Schmerz. Sein Hals wird staubtrocken, und seine Welt bricht beinahe zusammen.

Es folgen weitere Momente des Schocks und der Trauer, als er einen Telefonanruf von einem seiner besten Freunde erhält, und erfährt, dass dessen Lebensgefährtin, die natürlich auch Cornelis sehr nahe steht, bei einem Autounfall tödlich verunglückt ist.

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Etwas, aus dem der Globetrotter eine unglaubliche Kraft schöpft, ist das Gefühl, ein zu Hause zu haben. Als Cornelis ein Appartement in Paris kaufen möchte, hat er ein

lebensveränderndes Déjà-vu, während er zusammen mit dem Makler eine Wohnung betritt: in der Sekunde, in der er aus dem Fenster über die Dächer von Paris blickt, fühlt der Fotograf, dass alles in Ordnung kommen wird. Und dass dieser Ort sein neues zu Hause ist.

 



4. Annabelle

 

„Wenn man einmal in einem anderen Land gelebt hat, hat man einfach Blut geleckt.“

 

MUSIK: Tame Impala – Why Won’t You Make Up Your Mind?

 

Wenn jemand das Wesen einer urbanen Nomadin verkörpert, dann Annabelle. Soll heißen: die zarte Erscheinung lebt das Spiel ihrer inneren Gegensätze und Stilbrüche in Form von unzähligen Wohnungs-Umzügen. Und zwar unabsichtlich, es ergibt sich einfach. Eine Übersiedlung jagt die nächste – immerhin zählen wir bis dato ein gutes Dutzend. Klingt nach Ruhelosigkeit und ständiger Suche. Aber auch nach einem Gefühl der Freiheit, unbändiger Neugierde und Lebensfreude. Wenn da nicht andererseits dieser extrem ausgeprägte Familiensinn wäre, der sich auch in ihren liebevoll eingerichteten Appartements wiederspiegelt.

 

Als Tochter einer Französin und eines Deutschen genießt Annabelle eine Erziehung, die von Weltoffenheit geprägt ist: ihre glückliche Kindheit verbringt die in der – Nomen est Omen - Zeppelinstadt Friedrichshafen geborene, derzeitige Wahl-Berlinerin regelmäßig bei der französischen Großmutter in Morestel (in den Genuss, auch die deutsche Oma kennenzulernen kam sie leider nie). Was prinzipiell in einem emotionalen Aufruhr mündet, sobald der Heimweg naht. Eine K.A.T.A.S.T.R.O.P.H.E.! Jedesmal. Kein Wunder, dass die Romantikerin nahezu Tag und Nacht von Frankreich träumt. Dieses Land, das in ihren Augen so herrlich altmodisch, verträumt und aufregend ist, bedeutet für sie Spannung und Abenteuer. Und verankert sich immer tiefer in ihr Herz. Absolute Glücksgefühle empfindet sie immer dann, wenn sie ein gewisses, immer wieder aufkommendes Bild vor ihrem geistigen Auge hat: Annabelle im Garten ihrer Oma, ein Rad schlagend. Und zwar stets an derselben Stelle. Immer und immer wieder. Wie sie ausgerechnet darauf kommt? Hmmm. Faktum ist: in der Sekunde, in der sie bemerkt, dass ihr dieser Wunschtraum immer wieder in den Sinn kommt, beschließt sie, dass sie eines Tages in Frankreich, dem Land ihrer Sehnsüchte, leben wird. Von diesem Tage an rankt sich sie ihr gesamtes Dasein nur noch um dieses Ziel (ein Ziel zu haben, hat damals für sie noch oberste Priorität). Und tatsächlich - wenige Jahre später ist es soweit: sie zieht bei ihren Eltern aus und macht sich, obwohl sie ursprünglich nach Südfrankreich möchte, auf den Weg nach Paris. Auf gut Glück. Eine Tätigkeit findet sie erst nach mühevoller Suche vor Ort. Wie mutig! In der Stadt des Lichts erlebt sie aufregende, verrückte, aber auch beschwerliche sechs Jahre. En gros ist sie aber doch eher ernüchtert, sodass sie letzten Endes die Zelte abbricht, und wieder - back to the roots – nach Deutschland übersiedelt. Das „Problem“ ist: wer einmal Erfahrungen in einem anderen Land sammeln konnte, sehnt sich dann und wann nach diesem

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überwältigendem Lebensgefühl. Nach dem Reiz des Neuen, dem Abenteuer, wieder etwas aufbauen zu können. So auch Annabelle, die übrigens – surprise, surprise! - ein Faible für Road Movies hat. A la Wim Wenders „Paris, Texas“ etwa. Sie verspürt also wieder den unbändigen Wunsch, diese spannende und absolut bereichernde Erfahrung an einem anderen Ort zu wiederholen, und nochmals von vorne zu beginnen. Bereits in Paris fühlte sie den Drang, ihr Glück auch in New York, eine Stadt, die sie zeitlebens schwer beeindruckt hat, zu versuchen.

Gefühlt, getan: nachdem die Rastlose also mehr als zwei Jahre bei ihrer Familie, die mittlerweile im Taunus lebt, „Energie getankt“ hat, zieht sie kurzerhand für zwei

Jahre nach New York. Mit zwei Koffern in der Hand und ihrem geliebten Hund „Artos“. Helle sowie unvermeidlich dunkle Zeiten kommen auf sie zu, die sie bravourös meistert. Wieder entschließt sie sich zur endgültigen Heimreise mit einem mehrmonatigen Umweg über – na sieh mal einer an! – Paris. Wieder trennt sie sich von Menschen und Dingen, die ihr ans Herz gewachsen sind. Ziel ihrer langen Reise mit „Unterbrechung“ ist diesmal aber nicht der Familiensitz, sondern das pulsierende Berlin. Die Anfangszeit zeigt sich mehr als dramatisch: aufgrund einer schweren Krankheit wird der Weg sehr steinig und hart. Aber dank ihres fröhlichen Naturells und ihrer mentalen Stärke, lernt Annabelle auch damit umzugehen. Und: Filou, der Kater, ist stets an ihrer Seite. Heute glaubt sie, endlich „angekommen“ zu sein: Seit sage und schreibe acht (!) Jahren lebt Annabelle nun in der deutschen Metropole, deren Stadtteile eine gefühlte halbe Weltreise voneinander entfernt sind (ok, das ist vielleicht etwas übertrieben); und sie spürt erstmals ein Gefühl von Sesshaftigkeit. Kein Wind soll sie mehr von diesem Ort wehen. Was aber nicht bedeutet, dass sie leicht wiederstehen könnte, sollte sich ihr je wieder eine Chance bieten...

 

P.S. Falls sich noch irgendwer fragen sollte, warum Paris die „Stadt des Lichts“ genannt wird: das liegt am Sandstein, als auch an den Blei- und Zinkdächern seiner Häuser, die ein ganz eigenes Licht hervorrufen. Und an der Helligkeit, die die Seine mit sich bringt.

Alles klar?