BLEND.WERK

 

 

TEXT FÜR DIE FINISSAGE DER AUSSTELLUNG

„MAGIE DES ALLTÄGLICHEN“ IM RAHMEN VON „EYES ON“ – MONAT DER FOTOGRAFIE IM NOVEMBER 2014


„Manche Momente muss man einfach genießen und dann wieder loslassen. Ohne sie einfangen zu wollen. Andernfalls wäre die Magie dieses einen besonderen Augenblicks dahin.“

 

Ich weiß zwar nicht mehr, wer das gesagt hat, geschweige denn den genauen Wortlaut. Fest steht jedenfalls, dass ein Körnchen Wahrheit hinter dieser Theorie steckt. Und manchmal auch ein ganzer Getreidespeicher. Aber manchmal gibt es Momente, die man einfach festhalten muss, ob als simplen fotografischen Schnappschuss oder kunstvolle Inszenierung. Worauf ich hinaus will? Genau. Fotografie ist immer eine Gratwanderung zwischen dem realen Leben, und einer Welt wie wir sie gerne sehen WOLLEN. Also zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Und Fotografie ist wie ein Medium, das zwischen diesen Welten switcht. Tauchen wir ein in diese Welten.....

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Offiziell war es der französische Maler Louis Jacques Mandé Daguerre, der die ersten haltbaren Bilder im Jahre 1839 ersann. Also vor genau 175 Jahren, denn da wurde die Erfindung in der französischen Akademie der Wissenschaften einer staunenden Welt präsentiert. Aber Medienberichten zufolge war er nicht der einzige – prompt meldeten sich weitere Wissenschafter aus aller Herren Länder zu Wort. Darunter befand sich auch der englische Gelehrte William Henry Fox Talbot, dem bereits 1835 ein Negativ glückte, welches er in ein positives Bild umwandeln konnte: „Im Frühling 1834 begann ich mit der praktischen Ausführung eines Verfahrens, das ich mir einige Zeit vorher ersonnen hatte (...) Das Vergänglichste aller Dinge, ein Schatten, das sprichwörtliche Sinnbild für alles, was flüchtig und vergänglich ist, kann durch den Zauber unserer natürlichen Magie gebannt und für immer festgehalten werden in der Stellung, die ihm nur für einen kurzen Augenblick bestimmt zu sein schien. Wenn wir auch noch nicht wissen, welche Bedeutung die Anwendung dieses merkwürdigen Vorganges auf die Kunst einmal gewinnen mag(...)“

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Damals ahnte Talbot natürlich noch nichts vom heutigen Facebook-Smartphone-Twitter-Gewitter, das quasi kaum noch Privatsphäre zulässt. Aber es geht auch anders: Ein Foto ist Erinnerung pur. Es kann von vergangenen Zeiten erzählen, eine Idee vom Jetzt geben oder einen Hauch von Zukunft erahnen lassen. Ein Foto kann aus einem armen Würmchen einen Helden oder aus einem Löwen ein putziges Kätzchen machen und vice versa. Oder ihn schlicht auf Augenhöhe mit dem Betrachter präsentieren. Frei nach dem Motto „Ob eine schwarze Katze Unglück bringt oder nicht, hängt davon ab, ob man ein Mensch ist oder eine Maus“. Aber wir schweifen ab.

Ob Profi oder Hobby-Fotograf: was auch immer der Mensch hinter der Kamera in jener magischen Situation spürt, nichts bleibt dem Betrachter verborgen. G.n.a.d.e.n.l.o.s. Das ist genauso, wie Fragen auch immer etwas über den Fragenden aussagen. Man entblößt seine Seele, gibt immer etwas von sich preis. Man kann quasi gar nichts tun oder lassen ohne etwas auszusagen, womit wir auch wieder bei Watzlawick angelangt wären. Aber das ist jetzt wirklich ein anderes Thema.......

 

Das Leben ist kein Bild. Ein Bild aber kann leben oder auch nicht. Und manche Bilder entwickeln sogar ein Eigenleben. Genauso, als würde man zwischen den Zeilen eines Buches lesen. Dann sagt es sprichwörtlich mehr als tausend Worte.

Was ist nun das Geheimnis der echten Fotokunst und wann ist ein Foto wirklich gut? Werfen wir gemeinsam einen Blick hinter die Kulissen, und lassen die Beteiligten für sich selbst sprechen...

 

Die Fotografin spricht:

Fotografieren ist wie Ping-Pong spielen. Oder noch eleganter ausgedrückt: wie ein Dialog der anderen Art, zwischen mir und dem zu fotografierenden Objekt. Am Anfang ist es noch Smalltalk, der entscheidet, inwieweit man sich auf sein Gegenüber einlässt und ob letztendlich ein Big Talk daraus wird. Ein guter Fotograf ist ein wahres Kommunikationstalent, vor allem auf der nonverbalen Ebene. Sie können mir glauben, diese Art der Konversation ist keine einfache. Ich muss Sie warnen! Man muss den richtigen Moment erwischen, die magische Zehntel Sekunde, die das Wesen des Augenblicks erkennt. Oft sind bei 300 Aufnahmen vom selben Sujet nur drei gute dabei. Aber was ist schon gut? Und dann wieder sagt ein Schnappschuss alles, was gesagt werden muss. Was einen Hobby-Fotografen von einem Profi unterscheidet? Ich denke, es ist die Besessenheit. Wir Herzblut-Fotografen sind ein bisschen wie ein verrückter Professor, wir leben in unserer eigenen Welt. Und sehen, was andere nicht sehen. Aber sehen nicht alle irgendwie etwas, was andere nicht sehen? Manchmal sehen Menschen, die ähnlich ticken, auch das gleiche, allerdings immer aus einer anderen Perspektive. Hauptsache man sieht überhaupt irgend etwas.  Also, nochmal für alle: Wer es in Zeiten wie diesen in der Fotobranche zu etwas bringen will, muss die Fotografie L.e.b.e.n. Nicht nur technisch. Dann kommt der Erfolg ganz von alleine.

 

Die Kamera spricht:

Ich sehe was, was Sie nicht sehen. Sehr oft sogar. Meinem magischen Adler-Auge entgeht so gut wie nichts. Und das bereits seit 175 Jahren. Ich sehe die Falschheit in den Augen der Lachenden, ich sehe echtes Glück. Ich sehe das Unvermeidliche kommen und kann doch nicht zurück. Ob das ein Fluch oder Segen ist... ich weiß es nicht. Manchmal gaukele ich Ihnen eine perfekte Welt vor, doch gleichzeitig spreche ich die Wahrheit. Immer. Völlig ungeschminkt. Nur die Empfindsamen nehmen sie wahr.

Himmel! Was ich schon alles gesehen habe, ich sage es Ihnen, überall bin ich mit dabei. Ich sah ferne Länder, die feinsten Speisen, Super-Reiche und bittere Armut, die anmutigsten und die hinterhältigsten Menschen. Mal aus der Vogel-, und mal aus der Froschperspektive. Und soll ich Ihnen verraten was ich gar nicht mag? Soll ich wirklich? Paparazzi-Fotos und alles was damit zu tun hat. Mon dieu!!! Was interessieren mich die persönlichen Befindlichkeiten der Anderen? Ich gebe zu: ich bin eine äußerst poetische Kamera, auch ich habe eine Seele. Genau wie Sie. Und wenn man mir gut zuredet, habe ich eine ziemlich lange Lebensdauer. Meine Welt sind die Sonnenaufgänge, und die Wolken. Auch Abstraktes und Doppeldeutiges darf es sein, gern in Form von Schnappschüssen. Vorausgesetzt, die Kreativität, die mich führt, ist eine Gute. Ich wünsche mir, dass das was ich sehe, Freude bringt, zum Nachdenken anregt, berührt und bewegt – im positiven Sinne. Wir sind alle keine Engel.  Wir alle tragen helle und

dunkle Seiten in uns. Wer sich dessen bewusst ist, kann diese auch gezielt lenken. Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen.

 

Das Foto spricht:

Ich denke, ob ein fotografisches Werk gut ist oder nicht, hängt letztendlich vom Betrachter ab. Jedesmal wenn mich jemand anschaut, habe ich Lampenfieber. Bin ich ansprechend, genüge ich den Anforderungen? Am schlimmsten ist es, wenn man einfach

 an mir vorbei geht, ohne von mir Notiz zu nehmen. Sie wissen ja, wie das  ist. Emotionen, Reaktionen und Meinungen sind noch besser als Gleichgültigkeit. Denn diese kann tödlich sein. Ich will Anerkennung! Ich will Aufmerksamkeit! Für alle Beteiligten, nicht nur für mich. Obwohl negatives Feedback natürlich schon am Ego nagt. Da bin ich wie Sie. Aber, in solchen Fällen sage ich mir dann immer, die Chemie zwischen uns hat einfach nicht gestimmt. Diejenigen, die ich bewege, spüren es entweder mit dem dem Geist oder mit dem Körper. Und manchmal treffe ich sogar mitten ins Herz. So sehr, daß Sie mich beinahe nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Ob ich etwas Ansprechendes oder etwas Grausames darstelle, ist dabei sekundär. Das liegt wohl daran, dass alles, was von der persönlich gelebten Norm abweicht, und besonders auffällt, Sie in irgendeiner Form subtil beeindruckt. Sei es im positiven oder negativen Sinne. Also fräse ich mich fest in Ihr Gehirn, niste mich ein. Und eines Tages, wenn Sie am wenigsten daran denken, bin ich wieder da, vor Ihrem inneren Auge. Unerbittlich. Am liebsten in Situationen, die völlig unpassend sind. Ich mache das nicht absichtlich, wohlgemerkt. Es passiert einfach. Auf eine fast magische Art und Weise. Das funktioniert übrigens auch mit realen Bildern, die Sie wahrnehmen. Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Aber jetzt wird es definitiv zu psycho-sophisch...

 

Das Objekt spricht:

Die ganze Welt dreht sich- und zwar um mich! Ach, ist das herrlich, ich kann ungeniert meine Launen ausleben, mich von meiner hellen oder meiner dunklen Seite zeigen und bin immer der Star. Denn ich habe das Foto-Gen. Ich gebe zu, ich bin ein kleiner Narziss. Sobald ich auch nur eine Kamera erahne, werfe ich mich in Pose und flirte mit ihr, bis mir die Puste ausgeht. Je nach Lichteinfall und Inszenierung, kann ich bedrohlich wirken oder wie eine schüchterne Maus. Ja, mehr als tausend Gesichter hab’ ich drauf. Ob ich moderne Architektur bin, eine Menschenansammlung, ein Still oder oder ein weisses Segel im Wind – egal – Hauptsache ich bin im Mittelpunkt. Wenn ich aber ganz ehrlich bin, so waren die ausdruckstärksten Fotos von mir diejenigen, welche ohne mein Wissen entstanden sind, beziehungsweise, wenn ich dabei gerade an etwas völlig anderes gedacht habe. Soviel Fairness muss sein. Dem Fotograf gegenüber, meine ich. Apropos Fotograf: das, was sich da im sogenannten magischen Moment zwischen uns entwickelt ist im besten Falle wie eine Kurzzeit-Beziehung. Er pusht mich zur Höchstleistung, oder auch nicht. Während des Shootings sind wir ein Paar, das sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt. Genaugenommen sind wir – sobald der kreative Rausch, auf neudeutsch auch Flow genannt, einsetzt - ein wahres Trio Infernal, der Fotograf, die Kamera, und ich. Geschlossene Gesellschaft, sozusagen. Sartre lässt grüßen. Je nach Intensität, zeige ich im Idealfall Seiten von mir, die andere nie zu Gesicht bekommen. Der Mensch hinter der Kamera lockt sie hervor. Ohne  Pardon. Und wenn er wirklich richtig gut ist, sieht er etwas, von dem ich selbst noch gar nichts wusste. Hatte schon einige Aha-Erlebnisse dieser Art. Aber das ist jetzt wirklich schon sehr persönlich.  Wo bitte ist mein Riechsalz...?

 

(Fazit) Das Geheimnis der Fotografie ist also der Prozeß selbst, der wiederum ohne Emotionen nicht sein kann. Das bestätigt das Ergebnis. Je stärker die Emotionen, desto ansprechender das Resultat. Damit ist jeder „Beteiligte“ – ob Crew oder nicht Crew - mit verantwortlich für die Atmosphäre und Stimmung, die geschaffen wird. Insofern ist die Kunst der Fotografie eine hochsensible Angelegenheit, die auch auf den momentanen Empfindungen und der Sichtweise eines jeden Einzelnen beruht, und keinesfalls eine oberflächliche Angelegenheit ist. Und: letzten Endes hat jeder seine eigene Definition von Magie.

 

TEXT:

Natascha Dimitrov

 

QUELLEN:

-       FAQ No 27 may/june 2014, S. 52-59

-       Neue Zürcher Zeitung ww.nzz.ch „Ein Geschenk an die Welt“, 14.8.2014

-       William Henry Fox Talbot „Über die Kunst der photogenetischen Zeichnung“

-       „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“, Paul Watzlawick