Die Phantasie der anderen
Photo: „Grillparzerhaus“, ND
Musik: Leroy Anderson – The Typewriter / Jerry Lewis
Wo kreatives Chaos da auch Selbstdiziplin. Wenn auch auf einer ganz anderen Ebene: beim Schreiben zum Beispiel. Oder beim gezielten Träumen. Und so beschließen die schöne Freundin und ich, uns einen Tag lang der Muße hinzugeben. Und das geht so: während wir, flankiert von „Charlie Chaplin“ und einem Riesenseifenblasen-Künstler, in der Herbstsonne sitzend einen kleinen Braunen genießen, schmettert ein klassisches Streichquartett Por Una Cabeza. Besser geht’s nicht. Unser Ziel ist das heuer eröffnete Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek im Grillparzerhaus, wo wir erwartungsvoll in das Reich der Phantasie anderer Menschen eintauchen. In den labyrinthischen Räumen des Wissens ist es gespenstisch still. Zumindest anfangs. Neben Objekten, wie dem gestreiften Morgenmantel Heimito von Doderers, oder den berühmten Hüten Elfriede Gerstls kann man etwa auch den Krauthobel Adalbert Stifters, den ich schon immer einmal gerne sehen wollte, bewundern. Auch Grillparzers Arbeitszimmer, ein Jandl-Regiestuhl aus den 1970ern, eine „Wäscheleine“ voll Gedankengut à la Friederike Mayröcker, Installationen (Kafka in Gebärdensprache), experimentelle Kunstfilme sowie Requisiten des literarischen Cabarets der Wiener Gruppe ziehen meine Blicke auf sich. Tiefsinnige Zitate, Manuskripte und Briefe, etwa Kafkas erster Brief an Felice Bauer, und Postkarten - Maurice Ravel an Gertrude Zuckerkandl, mit Noten! – laden ebenfalls zum verweilen ein. Dabei hinterfrage ich, wie es sich anfühlt, anderer Menschen Briefe zu lesen – auch wenn diese bereits als historisches Dokument gelten. Aber dann dürfte man auch keine Bücher lesen. Und Zeitungen und Magazine, man dürfte eigentlich gar nichts mehr lesen. Denn: wer schreibt, gibt viel von sich preis. Bewußt und unbewußt. Ergo entblößt jedes noch so nüchtern verfasste Schriftstück in gewisser Art und Weise, denke ich, und während ich das Cover der Erstausgabe von Canettis Die Blendung betrachte, singt meine schöne Freundin lautstark zu Im Weißen Rössl, das aus dem Lautsprecher ertönt – sie zählt zu den Couragierten dieser Welt. Zu guter Letzt nehme ich mir noch ein Abreiss-Gedicht mit ... ah ja, da wäre noch ein Veranstaltungstipp: Archivgespräch „ich sein sprachenkunstler“, Ernst Jandl zum 90. Geburtstag, am 5. Oktober um 19 Uhr.
Alles Gute von Wolke 7!